Erkrankung ist gefährlicher als Impfung

Interview mit Dr. Ralf-Dieter Schipmann

Dr. Ralf-Dieter Schipmann ist Chefarzt an der Reha-Klinik Martinusquelle des Medizinischen Zentrums für Gesundheit (MZG) Bad Lippspringe. Der Pneumologe (Lungenarzt) erlebt in seinem Berufsalltag hautnah, wie Menschen unter den Spätfolgen von Covid-19 leiden. Als Mitglied im Stiftungsrat von diakonis äußert er sich im persönlichen Interview mit Anke Fromme zum Thema „Wie wichtig ist das Impfen wirklich?“.

?: Dr. Schipmann, eine persönliche Frage vorab: Sind Sie geimpft, geboostert oder sogar genesen?
Dr. Schipmann: Ich bin 2 x geimpft und auch geboostert! Erfreulicherweise habe ich selber bislang keine Coronainfektion durchgemacht.

?: Für wie wichtig halten Sie das Impfen im Kampf gegen Corona?
Dr. Schipmann: Die Impfung gegen Corona halte ich für extrem wichtig, da sie sozusagen unsere stärkste Waffe gegen diese gefährliche Infektionskrankheit ist! Eine weitere, auch aktuell immer noch sehr wichtige Maßnahme im Kampf gegen Corona sind die AHA+L-Maßnahmen.

?: Was sagen Sie einem Menschen, der sich nicht impfen lassen möchte, weil er Angst vor möglichen Langzeitschäden hat?
Dr. Schipmann: Ich versuche den Menschen zu erklären, dass diese Angst absolut unberechtigt ist und wir inzwischen wissenschaftlich belegt ganz sicher sagen können, dass die Erkrankung ‚COVID-19‘ ganz erheblich gefährlicher ist als eine Impfung! Wir haben eigentlich kein Medikament oder eine vergleichbare Impfung in der Geschichte der Medizin, die in so kurzer Zeit von ca. 1 Jahr mehrere Milliarden mal angewendet wurde. Daher können wir nun, ca. 1 Jahr nach Impfbeginn, mit noch größerer Sicherheit diese Aussage treffen, als wir es Anfang 2021 getan haben.

?: Dr. Schipmann: Was können Sie aus Ihrem Arbeitsalltag berichten: Unter welchen Spätfolgen leiden Ihre Patienten, die Corona überstanden haben, am meisten?
Dr. Schipmann: Oh, da kann ich leider sehr viel berichten, denn wir haben inzwischen viele tausende Patienten in den spezialisierten Reha-Kliniken Deutschlands gesehen, worunter natürlich viele Patienten mit länger anhaltenden Beschwerden nach schwerer Infektion, aber eben auch Patienten mit anfänglich gar nicht so schwerer Akuterkrankung und später auftretenden Beschwerden sind. Beides kann bei den Patienten die sogenannte ‚Wiedererlangung der Alltagstauglichkeit‘, insbesondere die Wiederaufnahme der beruflichen Tätigkeit, verzögern. Hauptbeschwerden sind hier eine noch fast bleierne Müdigkeit und allgemeine Schwäche (Fatigue), wie auch Konzentrations- und Denkstörungen, Schmerzen, Luftnot und vieles andere mehr.

?: Das Boostern wurde jetzt von sechs auf drei Monate herabgesetzt. Warum ist das sinnvoll?
Dr. Schipmann: Weil man inzwischen gesehen hat, dass ähnlich wie bei anderen Impfungen, wie insbesondere der Grippeimpfung, der Impfschutz auch bei der Coronaimpfung mit der Zeit etwas nachlässt und eine Auffrischungsimpfung nochmals einen großen Effekt für die Abwehrlage des Organismus bringt. Zudem weiß man aus Untersuchungen anderer Länder, in denen die Omikron-Variante eher auftrat, dass gerade die Abwehrlage gegen Omikron durch eine Boosterung erheblich verbessert wird und in hohem Maße schwere Krankheitsverläufe mit Notwendigkeit der Intensivbehandlung verhindert werden können.

?: Wie notwendig ist jetzt noch parallel eine Grippeschutzimpfung?
Dr. Schipmann: Die Notwendigkeit einer zusätzlichen Impfung gegen Grippe ist weiterhin sehr groß, da eine gleichzeitige oder kurz nacheinander stattfindende Infektion durch Grippeviren und die aktuellen Coronaviren eine weitere erhebliche Gefährdung der Patienten darstellen würde. Es sollten sich ( jedes Jahr zwischen Oktober und Mitte Dezember ) alle Menschen über 60 Jahren oder mit chronischen Erkrankungen sowie alle Schwangeren ( ab dem 2. Drittel ), alle Menschen mit viel Kontakt zu anderen Menschen und alle Mitarbeiterinnen im Gesundheitssystem sowie in Pflegeinrichtungen regelmäßig impfen lassen!

?: Angesichts ständig neuer Virus-Varianten … wie lautet Ihre Einschätzung: Wann ist der Corona-Spuk endlich vorbei … ?
Dr. Schipmann: Wahrscheinlich wird nach der jetzt leider noch sehr ausgeprägten Omikron-Welle im Frühjahr eine Beruhigung eintreten, wir werden die Pandemie aber erst beenden können, wenn sich ausreichend viele Menschen in Deutschland und der Welt haben impfen lassen, was leider aktuell immer noch nicht gegeben ist. Infekte mit den aktuellen Coronaviren werden uns aber auch dann noch, ähnlich wie die Grippe, „begleiten“ und vielleicht auch regelmäßige Auffrischungsimpfungen nötig machen.

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Dr. Ralf-Dieter Schipmann
Dr. Ralf-Dieter Schipmann Foto: Reha-Klinik Martinusquelle des Medizinischen Zentrums für Gesundheit (MZG) Bad Lippspringe

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